PATHOSTRANSPORT THEATER_INFORMATIONSdienst
Dramatiker paul m waschkau ./. Mainfranken Theater Würzburg
Zwei Jahre nach der „ZUM
SCHUTZE DES PUBLIKUMS“ erfolgten Absetzung von Paul M Waschkaus preisprämierter
dramatischer Komposition „NACKTES LEBEN oder BEI LEBENDIGEM LEIBE“ durch den
Intendanten des Mainfranken Theaters drei Tage vor der zum 16.6.2012
angesetzten Uraufführung, hat es am Amtsgericht Würzburg (AZ 17C 1352/14) ein juristisches Nachspiel
gegeben. Dort wurde die Stadt Würzburg
als Körperschaft des Öffentlichen Rechts und Rechtsträger des Mainfranken Theaters
„IM NAMEN DES VOLKES“ wegen „vorsätzlicher Verletzung des Aufführungsvertrages“
zur Zahlung einer Konventionalstrafe i.H. von 3300,oo € nebst Zinsen an den
Berliner Dramatiker verurteilt. Die Stadt Würzburg hat als Beklagte zudem die
Kosten des Rechtsstreites zu tragen. Berufung ist innerhalb eines Monats
möglich.
TATBESTAND
Der Autor hatte mit dem
Mainfranken Theater im Mai 2012 einen Aufführungsvertrag bzgl. der Uraufführung
des Stückes „NACKTES LEBEN oder BEI LEBENDIGEM LEIBE“ geschlossen. Darin hatte
sich das Theater verpflichtet, das Stück 12 x
zur Aufführung zu bringen, und nicht nur 5 x wie 2012 oft berichtet wurde.
Der Intendant aber hatte das Stück 2012, das ein Jahr zuvor von derselben
Theaterleitung unter Juryvorsitz desselben Intendanten zur Thematik „Nacktes
Leben“ i.S. von Giorgio Agambens „homo sacer“ - Studien mit dem
„Leonhard-Frank-Preis“ ausgezeichnet und literarisch hochgelobt wurde, drei
Tage vor der Premiere aus vorgeblichen Gründen der Unzumutbarkeit abgesetzt.
Das rief nicht nur allgemeines Unverständnis hervor, von Publikumsbevormundung
und gar Zensur war die Rede, sondern führte zu einem einzigartigen
„Theaterskandal“. Doch allen Protesten und vehementen Forderungen nach
Neuansetzung (z.B durch den Schriftsteller Verband und
der Leonhard-Frank-Gesellschaft ) zum Trotz, das Stück blieb ersatzlos
abgesetzt. Daran konnte auch eine am 17.12.2012 öffentlich geführte Debatte zum
FALL NACKTES LEBEN – mit Autor, Intendant, Regisseur und einem Vertreter der
Leonhard-Frank-Gesellschaft am Stadttheater Würzburg nichts ändern.
Nach Ablauf der
Vertragslaufzeit zum 31.7.2013 wies der Autor das Theater auf den bereits
eingetretenen Vertragsmangel hin. Letztmalig bat er um „konstruktive Stellungnahme“,
stieß jedoch bei der Theaterleitung auf völliges Unverständnis hinsichtlich
seiner Forderung auf Erfüllung des Aufführungsvertrages.
Verlauf des Rechtsstreits
Der Autor verklagte daraufhin
über seine Berliner Rechtsanwältin die Stadt Würzburg als Rechtsträgerin des
Theaters wegen vorsätzlicher Verletzung wesentlicher Vertragspflichten auf
„Zahlung der vertraglich vereinbarten Konventionalstrafe“. Die Beklagte Stadt
Würzburg ließ dagegen über ihre Prozessbevollmächtigte – einer Kanzlei für
Arbeitsrecht in Stuttgart – beantragen, die Klage abzuweisen.
Aufgrund der
Rechtskonstruktion, dass im Rechtsstreit die Stadt Würzburg die Beklagte ist -
und nicht das Theater als Eigenbetrieb der Stadt - durfte kurioserweise der Intendant
nun als Zeuge der Beklagten aussagen, obwohl er als Leiter des Theaters
verantwortlich für die Absetzung des Stückes und der damit einhergehenden
Vertragsverletzung war. So führte ein
mehrseitiger Vortrag der Beklagten bzgl. der Aufführungsbemühungen des Theaters
zu deren Schlussfolgerung, dass für das Scheitern und der Absetzung der
Aufführung allein das umstrittene Werk und folglich die Arbeit des Autors
verantwortlich sei. Denn dies sei ein äußerst düsteres Stück, das in 13 monologischen
Fragmenten „in quälender Genauigkeit Folter im 2. Weltkrieg und Grausamkeiten
des Menschen darstelle.“ Zwar habe das
Theater das umstrittene Werk nicht zur Aufführung gebracht, „der Intendant aber
habe aus Gewissenskonflikt, im Rahmen seiner künstlerischen Gesamtverantwortung
für das Publikum und das Ensemble keine andere Entscheidungsmöglichkeit
gehabt“, als das Stück abzusetzen. Folglich habe die Beklagte Vertragspflichten
weder vorsätzlich noch grob verletzt. Die Voraussetzungen für das Fälligwerden
der vereinbarten Konventionalstrafe lägen also gar nicht vor. Und um das
Gericht von der Notwendigkeit der Absetzung zu überzeugen, legte die Beklagte
das umstrittene Stück dem Gericht sogar als „Beweis“ vor. # Material nebst Stückfassung „NACKTES
LEBEN...“ online weiterhin hier >
Der Autor ließ über seine
Prozessbevollmächtigte klarstellen, dass er an den internen Abläufen des
Theaters weder beteiligt gewesen sei, noch darauf Einfluss gehabt habe. Zudem
hätte das Theater innerhalb einer 13½ monatigen Vertragslaufzeit die
Möglichkeit gehabt, „das Stück, möglicherweise mit einem anderen Regisseur in einer
anderen Inszenierung, doch noch zur Aufführung zu bringen“, um den zunächst
entstandenen Vertragsmangel wieder wett zu machen. „Von dieser Möglichkeit
machte die Beklagte keinen Gebrauch.“ Und obwohl der Autor dazu nicht
verpflichtet gewesen wäre, hätte die branchenübliche Möglichkeit einer
gütlichen Einigkeit darin bestehen können, statt des „umstrittenen Stückes“ ein
anderes Stück des Autors zur Aufführung zu bringen. Nicht einmal dazu war das
Theater bereit. Die Klage war daher geboten.
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE
In seiner Entscheidung ließ sich
das Gericht auf eine ästhetische oder moralische Beurteilung des umstrittenen
Werkes nicht ein, sondern verwies allein auf die Fakten und Formalien des
Aufführungsvertrages. Es wies darauf hin, dass dem Theater das umstrittene Werk
vor Vertragsabschluß bestens bekannt gewesen sei. Es habe auch nie die
literarische Qualität des Stückes bestritten. Im öffentlichen wie im privaten
Recht gilt jedoch der Grundsatz, dass Verträge einzuhalten sind - pacta sunt
servanda. Die Hauptpflicht des Vertrages - das Stück 12 x aufzuführen – habe
das Stadttheater nachweislich nicht erfüllt. Da die Verantwortlichen des
Stadttheaters wussten, dass sie sich zur Aufführung verpflichtet hatten, liegt
eine vorsätzliche Vertragsverletzung i.S. des § 276 BGB vor. Damit ist die Konventionalstrafe
verwirkt.
Das Gericht entschied, dass die
Klage nicht nur zulässig sondern auch begründet sei, und der Berliner
Dramatiker Paul M Waschkau von der Beklagten - Stadt Würzburg als Rechtsträger
des Mainfranken Theaters - die Zahlung einer Konventionalstrafe verlangen kann.
Entsprechend war die Beklagte zu verurteilen. Das Rechtsmittel der Berufung ist
möglich. Die Frist beträgt einen Monat und beginnt mit Zustellung der vollständigen
Entscheidung.
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Der Dramatiker Paul M
Waschkau hat diesen kuriosen Fall längst in seiner Theatergroteske PORNOFINGER
literarisch verarbeitet. Darin rätselt die künstlerische Leitung eines
ambitionierten provinziellen Theaters, wie sie die Uraufführung des
preisprämierten aber als „unzumutbar“ empfundenen Dramas P O R N O F I N G E
R am elegantesten NICHT zur Aufführung bringt. Das
Stück aus der Serie „backstage teatr“ wurde im Februar am Stadttheater
Dortmund vorgestellt. Die UA steht aber ebenso noch aus wie die UA der dramatischen
Komposition „NACKTES LEBEN“.
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